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Warum steckt in jedem Kopf ein Superhirn?

Ballen Sie bitte einmal Ihre Hände zu Fäusten und halten Sie diese – als ob Sie klatschen wollten – aneinander: Ziemlich genau so groß ist Ihr Gehirn
Markus Hofmann | 25.06.2013
Die gallertartige Masse wiegt bei Männern im Schnitt 1375 Gramm, bei Frauen sind es rund 1245 Gramm. Nüchtern betrachtet sollte man davon ausgehen, dass dieses Organ – ähnlich wie z.B. unser Herz – sehr gut erforscht ist und die Wissenschaft klare Antworten auf seine Funktionsweise gefunden hat. Doch weit gefehlt. Seit Menschengedenken ist das Gehirn der faszinierendste und geheimnisvollste Baustein unseres Daseins. Alles, was wir tun, nimmt seinen
Ursprung in dieser Kommandozentrale. Unser Gehirn ist Sitz der Seele und der Persönlichkeit, es ist die zentrale Steuereinheit für alle Bewegungen und es ist unser Sinnes- und Gedächtniszentrum. Zur herausragenden Bedeutung des Gehirns gibt es gute Nachrichten:

1. In jedem Baby baut sich ein potenziell brillantes Gehirn auf.
2. Egal, wie alt Sie sind – mit etwas Training können Sie die Leistungsfähigkeit Ihrer grauen Zellen verbessern.

Wie Letzteres funktioniert, werde ich Ihnen später noch genau erklären – zunächst möchte ich aber kurz den Aufbau unseres Gehirns bzw. des Nervensystems skizzieren.

Ein gigantisches Netzwerk

Sicher sind Sie schon in der Schule mit den wesentlichen Bereichen unseres Hirns konfrontiert worden. Ich spreche ganz bewusst nicht von Bausteinen, denn es wäre falsch, z.B. das Kleinhirn und das Großhirn völlig isoliert voneinander zu betrachten. Im Grunde ist unser Gehirn nämlich ein Gesamtkunstwerk aus Zellkörpern und Faserbahnen – ein gigantisches Netzwerk miteinander verbundener Nervenzellen.
Dennoch sind bestimmte Differenzierungen unstrittig: Zum Zentralnervensystem, dem Steuerungssystem des gesamten Organismus, gehören das Großhirn, das Kleinhirn, der Hirnstamm und das Rückenmark. Da wir uns hier primär mit der willkürlichen Leistungsfähigkeit unserer grauen Zellen befassen wollen, verdient die Großhirnrinde (cortex cerebri), die äußere, an Nervenzellen reiche Schicht des Großhirns, die größte Aufmerksamkeit. Von allen Säugetieren verfügt nur der Mensch über die je nach Region drei bis fünf Millimeter dicke Großhirnrinde.

Sie macht rund 80 Prozent unseres Gehirns aus und lässt sich – getrennt durch die senkrecht verlaufende Zentralfurche – in zwei Hälften unterteilen. Diese haben sich auf unterschiedliche Aufgaben spezialisiert. Vereinfacht lässt sich sagen, dass die linke Hemisphäre primär für das logische, verbale und rationale Denken verantwortlich ist, während auf der rechten Seite eher musische, intuitive und emotionale Anforderungen verarbeitet werden. Dort sind Kreativität, Intuition, räumliches Vorstellungsvermögen sowie die Erzeugung von Bildern und Gefühlen angesiedelt. Wenn Sie sich noch tiefer in die Materie einarbeiten wollen, empfehle ich Ihnen mein Buch Hirn in Hochform. Dort werden Aufbau und Funktion des Gehirns und der Nervenzellen detailliert beschrieben. Apropos Nervenzellen. Einige beeindruckende Zahlen möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Wenn ein Baby auf die Welt kommt, verfügt sein Gehirn bereits über 100 Milliarden Nervenzellen – das sind 100000000000 oder 10 hoch 11 Neuronen. Jedes Einzelne besteht aus vier Elementen: Dem Zellkörper mit dem Zellkern, seinen baumartigen Verzweigungen, den Dendriten, dem Axon – einer Faser, die Signale vom Zellkörper zu den Synapsen weiterleitet – und eben den Synapsen, an denen die Nervenimpulse auf die nächste(n) Zelle(n) übertragen werden. Die unvorstellbare Menge der Neuronen verändert sich im Laufe des Lebens praktisch nicht – was sich aber verändert, sind die Verbindungen untereinander. Und darauf kommt es an.

Auf die Verbindungen kommt es an

Generell bewirken Erfahrungen oder Lernprozesse, die häufig durchlaufen werden, dass sich die Synapsen am Ende der Neuronen verstärken und sich die Anzahl ihrer baumartigen Verzweigungen vermehrt. So kann ein Dendritenbaum mit bis zu 200000 Fasern anderer Neuronen in Verbindung stehen. Umgekehrt verkümmern Synapsen, wenn sie nicht stimuliert werden. Das Zusammenspiel der Neuronen wird noch beeindruckender, wenn man sich weitere Dimensionen vor Augen führt: Die Länge aller Nervenbahnen des Gehirns eines Erwachsenen beträgt etwa 5,8 Millionen Kilometer – also den 145-fachen Erdumfang. Jede der 100 Milliarden Neuronen im Gehirn ist durchschnittlich mit 1000 anderen Neuronen verbunden, woraus sich die Größenordnung von 100 Billionen (10 hoch 14) Synapsen ergibt. Lassen Sie sich von diesen Zahlen aber bitte nicht erschrecken. Sie machen eigentlich nur zweierlei deutlich:

1. Theoretisch könnten wir alle Enzyklopädien der Welt abspeichern.
2. Keine andere Spezies kommt mit einem derartig offenen, lernfähigen und durch individuelle Erfahrungen formbaren Gehirn auf die Welt wie der Mensch.

Vor diesem Hintergrund ist klar, dass kleine Kinder Informationen aufsaugen wie Schwämme das Wasser. Das Ergebnis dieser Informationsflut:

Im Alter von sechs bis acht Jahren ist unser Gehirn zu 90 Prozent ausgewachsen. Und auch für die Zeit danach gilt, dass unser Gehirn im Prinzip pausenlos Informationen verarbeitet. Es lernt quasi unaufhörlich. Oder anders gesagt: Es kann nicht nicht lernen! Jede Wahrnehmung, jede Eingabe wird mit vorhandenen Informationen abgeglichen und bei Bedarf gespeichert. Lernen ist etwas Natürliches, denn es geschieht quasi in jedem Moment. Wenn wir nun den Fokus auf das planmäßige Lernen richten, resultieren daraus mindestens zwei wichtige Fragen:

1. Wie können wir uns möglichst effektiv Wissen einprägen?
2. Wie organisieren wir das Gelernte so, dass es abrufbar ist, wenn wir es brauchen?

Bildspeicher

In der Antike stellte man sich vor, dass sich Informationen wie Engramme ins Gehirn einprägen – etwa so, wie wenn mit einem Griffel etwas in eine Wachstafel eingeritzt wird. Ich persönlich male mir aus, dass sich in unserem Kopf unzählige Bilder oder Symbole befinden, denn auf Bildern basiert unser Gedächtnis tatsächlich. Zur Verdeutlichung ein einfaches Beispiel: Denken Sie mal nicht an eine gelbe Zitrone! Das klappt nicht. Wir können in der Regel nicht abstrakt, losgelöst von dem Bild an ein konkretes Ding denken. Denken Sie an einen Japaner, an einen Goldfisch oder einen Bikini – immer taucht dazu automatisch in ihrem Kopf das passende Bild auf. Haben Sie schon einmal mit Kindern Memory gespielt? Warum gewinnen die Kleinen meistens? Ganz einfach: Sie speichern nicht nur die Motive, sondern die ganze Spielfläche als Bild ab. Wir Erwachsenen dagegen stellen uns der Aufgabe rational. Wir versuchen uns auf der linken Gehirnhälfte schematisch zu merken: Fuchs, vierte Reihe, dritte Karte von links! Das ist viel schwieriger als in Bildern zu denken. Mit dieser Erkenntnis treffen wir bereits den Kern des Gedächtnistrainings: Die besten Memoriertechniken basieren auf Bildern, auf emotional aufgeladenen Vorstellungen. Bekanntlich kann unser Wissen nicht einfach wie bei einem Computer auf die Festplatte gezogen werden. Es muss über einen Bedeutungskontext erst erschaffen werden. Jeder von uns weiß: Knochentrockene Fakten zu pauken ist nicht nur langweilig – es fällt auch schwer, sie sich wirklich zu merken. Die Verbindung zu einer emotional geladenen Geschichte macht alles leichter. Ebenso ist wissenschaftlich erwiesen,
dass Gefühl und Denken sehr eng miteinander verbunden sind. Wenn wir hoch motiviert und mit Spaß bei der Sache sind, fällt uns Lernen nicht schwer. Druck von außen wirkt meist als Hemmschuh.

Noch aus einem weiteren Grund sind Geschichten und Emotionen für das Lernen förderlich: Sie sorgen dafür, dass gleich eine Vielzahl von situativen, emotionalen und interaktiven Bezügen hergestellt wird. Das führt dazu, dass der Lernstoff an mehreren Stellen unserer Gehirnwindungen abgelegt wird. Es kommt zu vielfältigen Vernetzungen auf der neuronalen Ebene, die letztlich dazu beitragen, dass die gespeicherten Inhalte leichter wieder abgerufen werden können.

Liebe Leserin, lieber Leser, vergessen Sie das stupide Büffeln von Fakten! Seien Sie bereit für humorvolle, kreative Geschichten.

Gedächtnistraining mit der Mnemotechnik

Im Folgenden möchte ich Ihnen die Grundlagen der Mnemotechnik erläutern, denn mit ihrer Hilfe werden Sie Ihre Gedächtnisleistung rasch und signifikant verbessern. Der Begriff Mnemotechnik stammt aus dem Altgriechischen und leitet sich von »Mneme« (»Gedächtnis«, »Erinnerung«)und »Techne« (»Technik«, »Kunst«) ab. Zur Mnemotechnik gehören neben Merkhilfen wie Eselsbrücken auch komplexe Systeme, mit denen man z.B. Tausende von Vokabeln, vielstellige Zahlen, unzählige Namen oder Stichworte für Vorträge mühelos behalten kann.

Die Mnemotechnik
– bedient sich unserer bildhaften Vorstellungskraft
– verwendet bestimmte imaginäre oder tatsächliche Orte
– bezieht Emotionen mit ein und
– kleidet schwierige Sachverhalte in eine Geschichte.

Falls Sie sich jetzt nicht vorstellen können, lustige Geschichten zu ersinnen, nur um sich angeblich etwas besser merken zu können – ich verspreche Ihnen, Sie werden sich sehr wundern. Natürlich ist etwas Übung erforderlich, aber garantiert weniger als Sie denken. Ich möchte nun Ihr Gedächtnis testen. Bitte legen Sie sich Stift und Papier zurecht und konzentrieren Sie sich. Es folgen zwanzig Begriffe, von denen Sie sich nach einmaligem Lesen möglichst viele merken sollen. Los geht’s:

Gemälde – Sonnenblume – Sauna – Waschanlage –
Blumenbeet – Gästezimmer – Swimming-Pool –
Delikatessen- Restaurant – Mousepad – Oktoberfest –
Kindergeburtstag – Sauerstoffflasche – Lieferantenkredit – Gehaltserhöhung – Gänsehaut – Wasserglas – Gewinnprognose – Pelzmantel – Herzinfarkt – Liebesfilm


Stopp! Fangen Sie jetzt nicht sofort an zu schreiben. Vorher möchte ich nämlich noch Ihr Ultrakurzzeitgedächtnis löschen. Zählen Sie bitte laut von 50 herunter auf 40. Bitte greifen Sie erst danach zum Stift und bringen Sie die gespeicherten Begriffe zu Papier.

Und? Wie viele konnten Sie sich merken? Sieben bis acht sind guter Durchschnitt, wenn es über zehn waren, haben Sie vielleicht schon mit einer Technik gearbeitet. Wahrscheinlich haben Sie bestimmte Begriffe in einen Sinnzusammenhang gestellt. Nach dem Motto: Ein Gemälde mit Sonnenblumen hängt in der Sauna. Oder: Auf dem Oktoberfest feierten wir Kindergeburtstag und nach der Achterbahn musste ich sofort an die Sauerstoffflasche. Wenn Sie so vorgegangen sind – Herzlichen Glückwunsch! Sie haben Ihre ersten Geschichten erfunden. Dabei gilt übrigens wie in der Werbung: Je origineller oder
absurder die Story, umso leichter ist sie zu behalten.

Die Loci-Methode

Machen wir uns also nun daran, Ihre Gedächtnisleistung zu verbessern. Dazu möchte ich Sie mit einer Assoziationstechnik vertraut machen, die schon seit der Antike angewandt wird. Leider ist sie im Zeitalter von Speicherkarten und Merkzetteln in Vergessenheit geraten. Politiker und Philosophen – praktisch jeder, der damals eine große, freie Rede hielt – bediente sich der Loci-Methode. Der Begriff leitet sich aus dem Lateinischen ab: »locus« heißt »Ort« oder »Platz«. Wenn Sie Informationen in ihrem Gedächtnis suchen, dann ist das so, als ob Sie auf einen virtuellen Briefkasten in Ihrem Kopf zugreifen.

Warum finden Sie Ihre Post zu Hause? Logisch – weil Sie wissen, wo der Briefkasten ist. Ähnlich wie Sie Ihre Post zuverlässig an einem bestimmten Ort finden möchten, verhält es sich auch mit unserem Gedächtnis.

Mithilfe von mentalen Briefkästen sorgt die Loci-Methode dafür, dass wir gespeicherte Informationen im entscheidenden Moment zuverlässig abrufen können.

Der Einfachheit halber bedienen wir uns für die ersten zehn Briefkästen der Körperliste. Dabei gehen wir logisch, von unten nach oben vor. Ablageplatz 1 sind demnach Ihre Zehen. Platz 2 sind Ihre Knie, Platz 3 die Oberschenkel. 4 – der Po, 5 – der Bauch, 6 – die Brust, 7 – die Schultern, 8 – der Hals, 9 – das Gesicht und 10 – die Haare! Wiederholen Sie bitte die zehn Punkte laut, so wird auch der akustische Kanal involviert.

Gut. Sie haben die zehn Plätze präsent? Dann verknüpfen wir nun die zwanzig Begriffe von eben mit unserer Körperliste. Zum Beispiel so: Zwischen meine Zehen stecke ich einen Pinsel und male das Gemälde der Mona Lisa nach. Aus meinen Knien wachsen wunderbare Sonnenblumen. Ich fahre mit meinen Händen nicht in die Tiefgarage, sondern in die Hosentasche und berühre imaginär ein Auto auf meinem Oberschenkel. Meine Po-Backen rotieren, wie die Bürsten in der Waschanlage – ich brauche nie mehr Klopapier. Ich drücke etwas Dünger in meinen Bauchnabel und prompt sprießt ein kleines Blumenbeet. Das sechste Wort war das Gästezimmer. Wir brauchen also ein kreatives Bild, um das Gästezimmer mit unserer Brust zu verbinden. Zum Beispiel: Morgen besucht mich Pamela Anderson und ich richte ihr das Gästezimmer her. Ablagepunkt Nr. 7 ist unsere Schulter. Seit ich einmal in den Swimming-Pool gesprungen bin, obwohl kein Wasser drin war, schmerzen meine Schultern. Als nächstes passieren Köstlichkeiten aus dem Delikatessen-Restaurant meinen Hals, ich halte meine Hand vors Gesicht und stelle mir vor, meine Nase ist die Maus auf einem Mousepad. Letztlich brummt mir noch der Kopf vom zünftigen Feiern auf dem Oktoberfest. Wir haben nun bereits zehn Bilder kreiert.
Bitte gehen Sie die Bilder anhand der Körperliste nochmals durch.

Merken Sie schon, wie leicht es fällt, die ungewöhnlichen Verknüpfungen abzurufen?
Was war noch mit Ihrer Schulter los? Und wieso brummt Ihnen der Schädel? Die Körperliste ist der erste, elementare Schritt zur Steigerung Ihrer Merkfähigkeit. Nun wollen wir selbstverständlich alle 20 Begriffe beherrschen. Kein Problem. Wir könnten auf der Körperliste erneut unten anfangen und außer dem Gemälde noch mehr auf den Zehen ablegen. Das könnte allerdings zu Verwirrungen führen. Wir gehen besser anders vor und schaffen uns zehn neue mentale Briefkästen. Ich appelliere an Ihre Fantasie und möchte Sie in einen typischen Kinosaal mitnehmen. Sie betreten ihn von rechts oben und wir lassen den Blick zunächst nach links, einmal im Uhrzeigersinn durch den Raum schweifen. Wir finden so leicht zehn markante Punkte. Nummer 1 ist der Platzanweiser, der gerade neben uns steht. Als nächstes fällt uns der Projektor an der Rückwand ins Auge. Davor sind die gut gepolsterten, dunkelrot bezogenen Logenplätze. An der linken Wand hängen vier Lautsprecher und Platz 15 wird der Notausgang vorne links von der Leinwand. Weiter geht’s mit dem langen Vorhang, der Leinwand, über die gerade die sieben Zwerge wandern und auf Nummer 18 begegnet uns rechts der Leinwand ein Eisverkäufer. Es folgt als Punkt 19 die Treppe vor uns und letztlich der Lichtschalter, gleich zu unserer Rechten. Bitte gehen Sie die zehn Ablagepunkte nochmals durch. Schließen Sie die Augen und malen Sie sich den Kinosaal aus. Lassen Sie ein Bild vor Ihrem geistigen Auge entstehen. Je detaillierter und klarer es erscheint, umso besser.

Sie haben sich den Raum eingeprägt? Wunderbar, dann belegen wir nun unsere neuen Briefkästen. Ich möchte Ihnen noch einmal zwei Bilder an die Hand geben, bevor ich Sie mit den weiteren acht Kombinationen sich selbst überlasse. Begriff Nr. 11 war »Kindergeburtstag«, unser Ablageplatz 11 ist der Kartenabreißer. Das passt zufällig schön zusammen: Der ganze Kindergeburtstag stürmt den Saal auf einmal, der Kartenabreißer verliert den Überblick und wird grantig. Wie kann man nun die Sauerstoffflasche mit dem Projektor zusammen bringen? Dem Filmvorführer am Projektor geht es in seiner engen Kammer gar nicht gut. Nur die Sauerstoffflasche rettet ihn vor einem Kreislaufzusammenbruch.

Erfinden Sie nach dem simplen, aber genialen Schema
Begriff + Ablageplatz = Geschichte nun Ihre eigenen intensiven, vielleicht amüsanten Eselsbrücken.

Haben Sie es geschafft? Wie konnten Sie sich den Liebesfilm merken? Haben Sie mitten in einer heißen Liebesszene plötzlich das Licht angemacht
und sich so den wüsten Protest des Publikums eingehandelt?

Bravo – dann müssten Sie die 20 Begriffe jetzt eigentlich parat haben. Gehen Sie los – von ihren Zehen über die Brust hinein ins Kino bis zum Lichtschalter! Schreiben Sie die Begriffe auf und ich gehe davon aus, dass Sie 17 oder 18, vielleicht sogar alle, im Kopf finden.

Sie haben nun die erste, wichtige Hürde auf dem Weg zu einem Hirn in Hochform genommen. Möglicherweise ärgern Sie sich gerade darüber, dass Sie während Ihrer Schulzeit oder während ihres Studiums nie von dieser einfachen Technik erfahren haben. Wie leicht wäre es Ihnen z.B. gefallen, sich die Flüsse in Deutschland von Nord nach Süd einzuprägen? Wie leicht wäre es gewesen, historische Daten zu kennen oder irgendetwas anderes auf den Punkt auswendig zu lernen? Ich selbst gab meine Klassenarbeiten damals meist als Letzter ab. Das Lernen fiel mir nicht leicht und mit 2,8 machte ich nur ein durchschnittliches Abitur. Im Studium wollte ich meine Lernzeit unbedingt reduzieren und trotzdem die Noten verbessern. So stieß ich auf das Thema Gedächtnistraining und die Mnemotechnik. Dass die anerkannten Methoden heute noch keinen festen Platz in den Lehrplänen finden, ist mir unbegreiflich.

Wenn ich an Schulen eine Einführung in die Loci-Technik gebe, schlägt mir immer große Begeisterung entgegen. Weil es Spaß macht, in diesem Stil zu lernen und weil die schnellen Erfolge unheimlich motivieren. Ich habe mein Studium zum Diplom-Marketingwirt jedenfalls mit einem deutlich besseren Notenschnitt abgeschlossen als mein Abitur.

Lassen Sie uns jetzt bitte noch einmal zurück zur Körperliste bzw. ins Kino gehen. Mit dem Gelernten konnten Sie sich zwanzig Begriffe einprägen. Das ist natürlich nicht mehr als der Einstieg ins Gedächtnistraining.
Sie können nun jederzeit problemlos weitere Ablageplätze dazunehmen. Zum Beispiel Ihr Auto. Von der Stoßstange bis zum Kofferraum finden Sie rasch zehn mentale Briefkästen. Gehen Sie logisch
vor: Stoßstange, Motorhaube, Scheibenwischer, Frontscheibe, Lenkrad, Hupe, Gangschaltung, Rückbank, Hutablage und Kofferraum bieten sich an. Wenn Sie das Auto im Griff haben, können sie schon
30 Speicherplätze nutzen und so steigern Sie sich kontinuierlich auf 100 Plätze. Sie könnten auch Ihre Straße mit Briefkästen versehen. Egal wie komplex Ihr Ablagesystem wird – die Hauptsache ist immer, dass Sie ein konkretes, möglichst detailliertes Bild Ihrer Route vor Augen haben.

Bei Gedächtnismeisterschaften beweisen Spezialisten, was mit guten Memoriertechniken leistbar ist. So gelang dem Magdeburger Johannes
Mallow in der Disziplin »Zahlenmarathon« im August 2009 ein neuer Weltrekord: Der 28-Jährige konzentrierte sich 30 Minuten auf scheinbar
endlos lange Zahlenreihen und konnte anschließend 1264 Ziffern in der richtigen Reihenfolge wiedergeben. Auch in anderen Disziplinen von Gedächtnismeisterschaften werden unglaubliche Rekorde aufgestellt und immer wieder verbessert.

Ich möchte damit zum Ende kommen und hoffe, dass ich Sie für ein neues Hobby begeistert habe. Machen Sie Ihr Hirn zu Ihrem Hobby. Füttern Sie es mit mehr Informationen, speichern Sie mehr Wissen.
Unsere geistige Fitness führt zu mehr inhaltlichen Querverbindungen und zu mehr Kreativität. Ob unsere Wirtschaft neue Produkte entwickelt, mit denen sie auf den Weltmärkten überzeugen kann, ob wir den Klimawandel begrenzen können – egal, welches Problem sich stellt: Bildung ist der Schlüssel zu seiner Lösung. Leider wird diese Erkenntnis von der Politik noch immer nicht ausreichend berücksichtigt. Dabei bedeutet ein höheres Bildungsniveau auch eine klarere Haltung zu Staat und Gesellschaft.

Gerne würde ich in dieses Thema noch tiefer eintauchen, doch an dieser Stelle muss ich ein erfreuliches Fazit ziehen: Sie und ich, wir sind uns offenbar in einem Punkt einig – unsere grauen Zellen sind der Rohstoff, den wir unbedingt fördern müssen. Es ist der einzige Rohstoff, den jeder von uns geschenkt bekommt!