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Mitarbeiter müssen unbedingt loyal sein. Stimmt das?

Loyalität ist wichtig. Jedoch ist nicht jede Form von Loyalität für die Unternehmensführung sinnvoll und hilfreich. Nur sittliche Loyalität hilft.
Ulf D. Posé | 01.06.2014
Seit 14 Jahren ist Ulrike schon bei einem Discounter als Führungskraft beschäftigt. Aber so etwas hat sie noch nicht erlebt. Im letzten Abteilungsmeeting hat doch die neue Mitarbeiterin zu ihr gesagt: „Das sehe ich völlig anders, und ich halte es für einen großen Fehler, die Angebotspalette so schnell auszutauschen. Die Kunden müssen sich doch auch an ein Angebot gewöhnen.“ Ulrike empfand die Aussage als Affront. Die neue Kollegin war nicht loyal. Wie konnte sie ihr nur in den Rücken fallen? „Die knöpfe ich mir vor“, überlegte Ulrike, und bat die Mitarbeiterin, nach dem Meeting doch noch kurz zu warten. „Wieso fallen Sie mir in den Rücken? Kann ich nicht erwarten, dass Sie meine Entscheidung mittragen, und auch nach außen hin verteidigen?“, fragte sie die Neue. „Aber Sie haben mich ausdrücklich nach meiner Meinung gefragt. Wenn Sie wollen, dass ich nur nachplappere, was Sie vorgeben, dann müssen Sie mir das schon vorher sagen. Aber selbst das würde ich nicht tun.“ Ulrike war enttäuscht. Sie hatte da ganz andere Erwartungen an ihre Mitarbeiterin. Damit steht Ulrike nicht allein.
Loyalität ist immer wieder ein Thema in Unternehmen. In jedem Unternehmen werden loyale Mitarbeiter gesucht und erwartet. Aber welche Art von Loyalität ist eigentlich sinnvoll und vertretbar? Es kommt darauf an, welche Art von Mitarbeiter man sich wünscht. Es gibt da mindestens drei, die zur Auswahl stehen, wenn es um die Loyalität geht.
Da ist zunächst der moralische Mitarbeiter. Er folgt den Regeln, die im Allgemeinen in der Gesellschaft eine Rolle spielen. Übernommen hat er diese Regeln von seinen Erziehern. Das sind Regeln wie: „Benimm Dich anständig…, sei ein guter Freund…, lass Dich nicht erwischen…, fall besser nicht auf…, sei pünktlich, zuverlässig, ordentlich, ehrlich, muck nicht auf.“ Der Mitarbeiter orientiert sich an den Verhaltensregeln, die ihm sein soziales System als korrekt vorgibt. Die Loyalität dieses Mitarbeiters hängt davon ab, ob auch alle anderen zu dem, was er tun soll, ebenfalls ja sagen würden. Wenn es alle so machen, dann macht er es auch so. Was alle tun, stellt er nicht in Frage. Da ist er völlig unkritisch. Denn die Regeln der Gesellschaft hat er sich sozusagen unkritisch einverleibt.
Der zweite Typ Mitarbeiter ist der funktionale Mitarbeiter. Er arbeitet nach dem Motto: „Wess´ Brot ich ess´, dess´ Lied ich sing.“ Dieser Mitarbeiter hält sich sklavisch an Regeln, die das Unternehmen ihm vorgibt. Er fragt immer: „Was steht da?“ Er fragt sich nicht: „Was ist damit gemeint?“ Regeln müssen eingehalten werden, koste es was es wolle. Und so lässt er als Portier die Feuerwehrt nachts um drei Uhr nicht auf das Werksgelände, da nach 23.00 Uhr niemand mehr das Werksgelände betreten darf. Und von Ausnahmen steht in seinem Regelwerk nichts. Die Loyalität dieses Mitarbeiters sieht aus wie Kadavergehorsam. Er macht, was man ihm sagt, ohne jemals zu hinterfragen, ob das auch sinnvoll ist. Das ist der wohl pflegeleichteste Mitarbeiter, den man sich denken kann. Er stellt nichts in Frage, aus seiner Sicht macht er immer alles richtig. Er tut immer das, was irgendwo als Vorschrift festgehalten ist. Er ist der klassische Befehlsempfänger.
Der dritte Typ Mitarbeiter ist der sittliche Mitarbeiter. Dieser Mitarbeiter hat in seinem Leben die Frage beantwortet, was für seine Lebensführung sinnvoll und hilfreich ist. Er hat die Fähigkeit entwickelt, die typischen Verhaltensregeln im Unternehmen kritisch zu hinterfragen. Er will nicht nur die Vorschriften kennen, sondern auch wissen, wozu sie da sind, ob sie denn auch tatsächlich den behaupteten Nutzen bieten. Er ist in Summe für sein Unternehmen, das hindert ihn jedoch nicht daran Missstände anzuprangern. Und er ist bereit für das, was er tut gerade zu stehen, seine Entscheidungen zu verantworten. Er besitzt eine ethische Orientierung. Das meint, er hat ein ethisches Prinzip entwickelt, an das er sich hält, indem er eine Güterabwägung vornimmt. So ist seine Loyalität immer dann gegeben, wenn sein Chef Dinge tut, die auch der Mitarbeiter bereit ist, mitzuverantworten. Sind die Vorschläge oder Entscheidungen des Vorgesetzten aus Sicht des Mitarbeiters falsch oder ethisch nicht vertretbar, dann will er eine nachvollziehbare Begründung dafür. Kann sein Chef ihm diese liefern, ist alles o.k. Kann sein Chef das nicht, dann verweigert dieser Mitarbeiter seine Zustimmung.
Die Frage nach Loyalität hängt davon ab, welchen Mitarbeiter sich Vorgesetzte wünschen. Mit dem moralischen Mitarbeiter gibt es keine Probleme, solange die Entscheidungen des Chefs zu den allgemeinen Erwartungen passen. Mainstream ist hier das Motto.
Bei dem funktionalen Mitarbeiter gibt es keine Probleme, wenn es in den Vorschriften festgehalten wurde. Notfalls kann der Chef ja eine neue Vorschrift erlassen.
Der sittliche Mitarbeiter ist nicht pflegeleicht. Hier muss ein Chef nachvollziehbar begründen können, warum eine Entscheidung richtig und sinnvoll ist. Geschieht dies, dann gibt es hier mit der Loyalität keine Probleme.
Man kann sich fragen, warum diese Unterscheidung so wichtig ist für Führungskräfte. Der entscheidende Faktor ist die Realitätsnähe. Mit welchem dieser drei Mitarbeiter kann ein Chef am besten feststellen, ob seine Entscheidungen realistisch sind? Er kann es wahrscheinlich nur mit dem sittlichen Mitarbeiter. Die beiden anderen schützen den Chef nicht unbedingt vor Fehlentscheidungen oder vor Realitätsverlust. Vornehmlich der funktionale Mitarbeiter neigt dazu, seinem Chef zu sagen, war dieser gern hören möchte. Der Kadavergehorsam führt hier zu einer Art vorauseilendem Gehorsam. Und wenn ein Chef sich mit vielen solcher funktionalen Mitarbeiter umgibt, dann hört er zwar ständig, dass er ein toller Hecht ist, und alles richtig macht, bis die Realität unerbittlich zuschlägt. Und dann ist es zu spät. Dann hat diese Art von Loyalität den Chef, und vielleicht sogar das ganze Unternehmen ins Elend gestürzt.
Also sollte ein Vorgesetzter sich nicht ärgern, wenn Mitarbeiter Entscheidungen hinterfragen oder gar kritisieren. Vielleicht haben solche Fragen oder solche Kritik den Chef vor allzu vielen Fehlentscheidungen bewahrt. Und darüber sollte er sich freuen.
Ulf Posé