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Consumer Correctness – ein Marketingdilemma?

Wie die zunehmende Diskussion um moralischen Konsum neue Anforderungen an Marketingstrategen stellt und was sie beachten müssen.
Rolf Klein | 10.05.2013
Nicht erst seit den Skandalen in der Textilindustrie ist Konsum um jeden Preis in der Diskussion.
Die Berichte und Vorfälle in vielen Branchen –auch den digitalen- finden ein immer breiteres Publikum und im Netz verbreiten sich shitstorms wie Buschbrände. Mit Nachhaltigkeitsstrategien wird um Vertrauen gerungen. Wenn jedoch zunehmend Erfolgsfaktoren für Präferenzbildung im harten Wettbewerb ins Kreuzfeuer geraten, müssen Marketingstrategien rechtzeitig überdacht werden.

Beispiel Lebensmittelverschwendung
Das Muster ist so klar wie plakativ: Auf der einen Seite jährlich 11 Millionen Tonnen Lebensmittel-
abfälle allein in Deutschland, auf der anderen Seite Mangel und Armut in weiten Teilen der Welt. Eine Diskrepanz in dem Idealbild einer Welt in Balance mit der NGO’s und Medien Politiker und Wirtschaft immer wieder zu mehr Nachhaltigkeit auffordern.

Schnell sind Vorwürfe über verschwenderischen Konsumdruck und übermäßige Verführung in Richtung Industrie und Handel formuliert. Wahlkämpfe befeuern zudem die Diskussion. Widerspruch ist hier besonders zwecklos, weil die Logik „Wer den Krümel nicht ehrt, ist das Brot nicht wert“ schnell die sachliche Diskussion überlagert. Obwohl die Vermeidung keinen Teller in irgendeinem Armenviertel dieser Welt füllen würde. Es würden schlicht 11 Millionen Tonnen Lebensmittel mit einem Gegenwert von 22 Milliarden Euro nicht mehr produziert, nicht mehr entlohnt, nicht mehr verkauft, nicht mehr versteuert und nicht mehr weggeworfen.

Laut einer Studie des BMELV fallen 61% der deutschen Lebensmittelabfälle in Privathaushalten an. Mit etwa 44 % ist Überbevorratung für den Abfall in Haushalten verantwortlich. Der Rest resultiert aus Produktenttäuschung, Fehlzubereitung, falscher Lagerung, etc. Bei dem Thema Überbevorratung wird auf breiter Front bessere Einkaufplanung und bewussterer Konsum auf Verbraucherseite sowie verantwortungsvollere Vermarktung auf der Anbieterseite angemahnt.

Spontankauf vom Aktionsdisplay bald nur noch mit schlechtem Gewissen? XL-Schnäppchen-Packungen bald regelmäßig im Internet-Pranger? Bigger than life-Formate in der Werbung bald nur noch mit
Abmahngefahr? Gängige Marketingmaßnahmen im Wettbewerb rücken in der Öffentlichkeit zunehmend in die Diskussion.

Nachhaltigkeitsstrategien schützen nicht automatisch
Als Danone 2011 stolz verkündete, Activia fortan nur noch in sogenannten PLA-Bechern aus nachwachsenden Rohstoffen anzubieten, regte sich schnell Widerstand. Nicht aus dem neidischen Wettbewerb, sondern aus dem Lager der NGO’s. Der Rohstoff Mais (wahrscheinlich genmanipuliert), das Recycling und die Umweltvorteile gegenüber den bisherigen Kunstoffalternativen wurden ausgerechnet von der Seite schnell sturmreif geschossen. Mit dem Ergebnis das noch im gleichen Jahr die Kampagne sowie die Zusammenarbeit mit dem WWF aus der Öffentlichkeit zurückgezogen wurden und die Auslobung von der Packung verschwand.

Das Beispiel zeigt, dass mehr vordergründige Nachhaltigkeit nicht unbedingt vor der Diskrepanzfalle der öffentlich definierten consumer correctness schützt.

Auch moderne Geschäftsmodelle in der Diskrepanzfalle
Die Berichte über die Arbeitsbedingungen bei Amazon und anderen Versanddienstleistern zeigen einmal mehr auf, dass Benefits heute diskrepanzfrei sein müssen. Auf der einen Seite die schöne bequeme Welt des Kaufs vom Sofa inklusive bequemer Zustellung, auf der anderen Seite die harten Bedingungen der notwendigen Logistik dafür. Bei gnadenlosem Ringen um noch mehr Kunden mittels geringer Liefergebühren oder gar gratis bei hoher Preistransparenz im Netz.

Das sind Diskrepanzen, die an den Erfolgsfaktoren von Geschäftsmodellen rütteln können.

Das Thema „same day delivery“ (SDD) könnte der nächste Hype werden. Doch wenn die Schlaglichter der NGO’s und Medien auf den Logistikaufwand geworfen werden, den SDD täglich in unseren Innenstädten zusätzlich zum Individualverkehr verursachen wird, sollte man nicht nur die Argumente für noch mehr Convenience zur Hand haben.

Was es für Marketing bedeutet
Mit zunehmendem Bewusstsein des „One World Problems“ sind echte Missstände von Verbraucherseite nicht mehr entschuldbar. Die Anbieter sind in der Pflicht, an deren Beseitigung zu arbeiten. Die Zeiten von „the winner takes it all“ sind nun einmal endgültig vorüber. Doch es reichen schon Diskrepanzen zwischen einem öffentlich definierten Idealbild und den tatsächlichen Usancen im Markt, um Unternehmen, Marken und Angebote empfindlich zu treffen. Was bleibt, ist das schlechte Gewissen auf Verbraucher-seite und Unsicherheit in den Marketingabteilungen, welche Angebote neben individueller Präferenzbildung im harten Kampf um Marktanteile auch noch „consumer correctness“ zulassen.

Was Marketing dagegen tun kann
In einigen Segmenten und Nischenmärkten wird man sich eine kompromisslose Anpassung auf Höhe der jeweilig definierten consumer correctness leisten können. In Massenmärkten, zumal im internationalen Wettbewerb, wird man diese Wendigkeit nicht haben. Bei Positionierung, Innovation und Vermarktung werden dort dennoch auch Zweit- und Drittwirkungen der Vorgehensweise abzuwägen sein.

Das ist in üblichen Marktforschungsdesigns nicht heraus zu bekommen. Der individuelle Konsument fokussiert dort das Angebot und sucht i.d.R. zuerst die persönlichen Vorteile. Die consumer correctness wird durch Organisationen und Medien definiert, im Web multipliziert und erst zeitverzögert an Kraft gewinnen. Das Thema braucht erst Bedeutung im täglichen Leben. Dennoch sollte es in der Entstehung einer Strategie antizipiert werden, um teure Fehlentwicklungen oder abrupten Vertrauensverlust zu vermeiden. Das ist nicht nur eine Frage des Social Media Monitorings, sondern vor allem eine Frage der vorausschauenden Challenge geplanter Strategien im Spannungsfeld der öffentlichen Wahrnehmung. Um Risiken bewusst machen, zu vermeiden oder ihnen rechtzeitig entgegentreten zu können.

Rolf Klein
http://www.erkabe.com/