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Freiheit für den Dialog!

Die stille Revolution jenseits von Parteilinien und Medienhäusern
Stefan Häseli | 06.04.2017
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„Social Media hat unser Kommunikationsverhalten so einschneidend verändert, wie es nicht einmal die Verbreitung des Buchdrucks vor mehr als fünfhundert Jahren geschafft hat!“
Stefan Häseli

Im Netz veröffentlichte Statements stehen unwiderruflich – ob gedankenlos gepostet oder gezielt verbreitet. Wie gezielt Social Media Botschaften wirken, hat der russische Oppositionspolitiker und Blogger Alexej Nawalny jüngst mit seinem vielbeachteten Aufruf zum Kampf gegen die Korruption bewiesen.

Was tut jemand, der sich mit der offiziellen Darstellung seines Landes nicht identifizieren kann und deshalb in den gleichgeschalteten Medien nicht auftaucht? Er nutzt das Netz! Als Blogger vertritt er seine (ungeliebte) Meinung und mobilisiert zigtausend Gleichgesinnte zu landesweiten Kundgebungen. Die sozialen Netzwerke sind Alexej Nawalnys Sphäre und er twittert bis zu Verhaftung. Freiheit für den Dialog fordert Stefan Häseli und klärt als Experte für Alltagskommunikation auf, warum Social Media tatsächlich nichts anderes ist, als der Weg zurück zur ursprünglichen Kommunikation.

Im Anfang war das (geschriebene) Wort
„Nun ist die Kommunikation, weniger die Politik, mein Anliegen. Doch gehen von letzterer immer öfter Impulse aus, die uns zeigen, wie sehr sich unser Kommunikationsverhalten verändert hat“, so Stefan Häseli. „Dank Social Media kommunizieren wir eindeutig wieder mehr miteinander. Und zwar zunächst einmal über das geschriebene Wort. Kurz und knapp formuliert, beziehen wir Stellung, tauschen Meinung aus oder aktivieren unsere Mitmenschen zum gemeinsamen Handeln.“ Die Verbreitung der Nachricht in Echtzeit macht den Flashmob erst möglich. Kurzfristig und überraschend kommen viele Menschen zu öffentlichen Aktionen zusammen – sei es zur Party oder zur Demo. Und eine Möglichkeit zum persönlichen Dialog.

Zwischen Streicheleinheiten und Entzugserscheinungen
Zugegeben, die sozialen Medien beherrschen unsere
Kommunikationswelt, sie haben einen erheblichen Einfluss auf unseren Alltag. Längst wird dieser von den smarten Geräten und deren Anwendungen bestimmt. Nicht mehr umgekehrt. Auch Stefan Häseli beobachtet täglich: „Arbeiten und Gedankengänge werden sofort unterbrochen, geht eine neue Meldung ein. Wir nutzen die Fahrt im Bus oder in der U-Bahn ebenso, um unseren elektronischen Briefkasten zu checken, wie jegliche Wartezeiten oder den Gang zur Toilette, wo ja zu ‚Urzeiten’ schon einmal die zu hinterlistigen Zwecken verwendete Zeitung studiert wurde.“ Nach dem Aufwachen gilt unsere Aufmerksamkeit nicht mehr in erster Linie dem Partner neben uns. Wir streicheln zuerst einmal das Smart-Phone. Bleibt dieses heißgeliebte Gerät versehentlich einmal zuhause liegen, löst das nicht selten körperliche Entzugserscheinungen aus.

Juhuu, wir kommunizieren wieder
„Ein Aspekt dieser ganzen Entwicklung erscheint mir besonders wichtig“, erklärt der Experte für Alltagskommunikation. „Wir kommunizieren nämlich tatsächlich wieder mehr miteinander. Kommunikation in seiner Ur-Form diente dem Austausch. Worte erleichterten es dem Menschen, sich genauer auszudrücken. Mit der Erfindung des vervielfältigten Wortes per Buch und Zeitung wurde der Mensch immer stärker zum Konsumenten. Radio und Fernsehen verstärkten diese Entwicklung im letzten Jahrhundert weiter. Der Dialog verkümmerte immer mehr zum Monolog. Ein Abgleiten in die Passivität erfolgte.“ Mit den sozialen Medien kommt ein Stück der ursprünglichen Idee der Wort-Kommunikation zurück. Ihr Erfolgsgeheimnis beruht nicht zuletzt auf der Teilhabe, der Möglichkeit, alles sofort und jederzeit zu kommentieren und Texte selber zu verfassen. Durch diese Möglichkeit der Interaktivität verschiebt sich das Gewicht zu mehr Aktivität. Wir lassen teilhaben und nehmen teil, wir folgen und zwitschern, wir usen und posten, wir streamen und bloggen. Wir leben uns im Netz aus. Und gleichzeitig hält der Dialog wieder Einzug. Eine TV-Sendung wird nicht mehr nur konsumiert, es kann auch dem eigenen Mitteilungsbedürfnis sofort stattgegeben werden. Dazu Stefan Häseli: „Im Grunde gehen wir hier einen Weg zurück zu unseren Ursprüngen. Kommunikation ist eine Dialogform, die auf dem Wortwechsel der Beteiligten beruht. Nach Jahrzehnten der Unterdrückung haben wir diese Freiheit wieder gewonnen. Ein historischer Moment in einer historischen Phase.“

Sehen wir den neuen Dialog per Social Media als Impuls und Bereicherung. Wir posten nicht nur, wir reden auch miteinander. Denn ohne den Aufruf im Netz hätten wir unseren Gesprächspartner vielleicht niemals kennen gelernt. Und wenn wir unsere Streicheleinheiten ganz bewusst auf Touchscreen und diejenigen, die uns nahestehen, verteilen, kommt auch die nonverbale Kommunikation zu ihrem Recht.