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Soziale Kompetenz lässt sich nicht digitalisieren

Führung 4.0, web 2.0 alle reden über Digitalisierung. Worauf wird es zukünftig ankommen, wenn Führung erfolgreich sein will?
Ulf D. Posé | 02.08.2016
Die Digitalisierung ist wie eine Schlange. vor der das Kaninchen namens Mensch erstarrt. Sie dominiert derzeit alles, auch menschliches Miteinander.
Die Digitalisierung von Informations- und Kommunikationsprozessen hat zu einer Informationsexplosion geführt. Die Digitalisierung ist das Thema in Unternehmen. Alles folgt dem Gedanken web 2.0 oder Industrie 4.0. Alle behaupten den epochalen Wandel. Der wird sicher stattfinden. Was derzeit auf der Strecke bleibt, ist die soziale Kompetenz, die soziale Performanz. Die lässt sich nun einmal nicht digitalisieren.

Was ist das Problem bei der Digitalisierung bei Führung 4.0? Wenn wir die zunehmende Kompelxität versuchen zu duchdringen, kommt es darauf an, das Wesentliche zu ermitteln. Die wesentliche Veränderung für zukünftige Führung besteht aus:

1. Die Führungsspanne wird größer. Wer führt hat weitaus mehr direkt unterstellte MA als bisher.
2. Die Mitarbeiter sind zunehmend weniger zentral angesiedelt, sondern zunehmend an verschiedenen Standorten reginal und international vernetzt
3. Der persönliche Kontakt wird zunehmend ersetzt durch Medien (Mobilphone, Telko, Videokonferenz, Computer, Tablet, Intranet, E-mails ets)

Was folgt daraus? Der so selten werdende persönliche Kontakt wird hervorragend sein müssen in der Kommunikkationskompetenz. Wenn der Chef früher 20 – 50 Mal direkten, persönlichen Kontakt zum Mitarbeiter pro Jahr hatte, so wird dies zukünftig nur fünf Mal pro Jahr sein. Bei 30 bis 50 persönlichen Kontakten pro Jahr durfte ein Gespräch auch schon mal schiefgehen. War nicht sooo schlimm. Bei fünf Mal pro Jahr ist das Schiefgehen eines Gesprächs viel gravierender.

Zukünftig wird es also immer mehr auf die soziale Kompetenz und soziale Performanz ankommen.
Soziale Performance zeigen bedeutet, Widerstände gegen Anordnungen, gegen Führungskräfte, auch Widerstände gegen Industrie 4.0 oder web 2.0 abzubauen. Das wiederum heißt, Konflikte schnell und zutreffend lösen zu können.

Da Führung Einfluss nimmt und zwar beabsichtigten Einfluss, wird hier auf Menschen eingewirkt. Deren soziale oder psychische Einstellung soll verändert oder verstärkt werden. Das schließt den Einfluss auf Handlungen, Erwartungen mit ein.

Damit wird das Verhalten von Menschen gesteuert. Dieser Einfluss lässt den Menschen oft etwas tun, dass seiner eigentlichen Absicht nicht oder kaum entspricht. Die Handlungsfreiheit der Menschen wird somit eingeschränkt.

Diese Einflussnahme kann technisch bewältigt werden, etwa durch eine Güterabwägung. Ob dabei die Bedürfnisse der Betroffenen optimal berücksichtigt werden ist eine Frage der sozialen Performance. Denn erst diese lässt die Abwägung der Interessen des Unternehmens, des Marktes etc., der Interessen der Führungskraft (Machtanspruch, Wahrnehmung der verschiedenen Rollen: Rolle des Motivators, des Beurteilers, des Planers, des Koordinators, des Organisators, des Konfliktlösers etc.) mit den Interessen des Mitarbeiters, seinen Bedürfnissen und Erwartungen z.B. Humanität am Arbeitsplatz, Sozialleistungen für den Arbeitnehmer, humane Produktionsmethoden, Förderung der Hygienefaktoren wie Kantine, Betriebskindergarten, Betriebsarzt etc. etc. optimal zu.

Soziale Performance meint nun nicht die Annahme eines bestimmten Führungsstils. Mit der Annahme eines bestimmten Führungsstils ändere ich nicht mein überzeugtes Verhalten, sondern die Änderung meiner innenen Einsttellung zum Führungsprozess ändert meinen Führungsstil.

Soziale Kompetenz meint nun die innere Einstellung des Menschen zu Menschen. Die Art, wie Konflikte gelöst werden, die Fähigkeit, Führung auch ethisch auszufüllen und rechtfertigen zu können. Hier liegt die mögliche Beweiskraft der sozialen Performance, nicht das Lippenbekenntnis.

Führung heißt die Effektivität und Effizienz eines Unternehmens zu steigern, gleichzeitig heißt es ebenfalls die Bedürfnisse der Mitarbeiter des Unternehmens optimal zu berücksichtigen. Neben der Entlohnung sind dazu weitere Voraussetzungen zu schaffen. Hier setzt soziale Performance ein.
Was heißt denn nun sozial performant zu sein?

Soziale Performance bedeutet:

1. in der Lage zu sein, sich auf Mitarbeiter einstellen zu können. Das bedeutet schnell und sicher unterscheiden zu können zwischen Informationsaustausch, Beziehungsklärung, Selbstdarstellung und Appell. Nun bedeutet soziale Performance nicht, die einzelnen Ebenen allein unterscheiden zu können, sondern soziale Performance wird hier ausgemacht durch die Fähigkeit auf die einzelnen Ebenen auch sinnvoll eingehen zu können. Die Frage, beschränkt sich die Kommunikation zu meinen Mitarbeitern ausschließlich auf den Austausch von Informationen, oder bin ich in der Lage Ihre Klärung nach Beziehung ,Wie steht mein Chef zu mir? Kann ich meinem Chef sagen was ich von Ihm halte?") zuzulassen und zu fördern ist hier ebenso wichtig, wie die Fähigkeit, dem Mitarbeiter ausreichend Gelegenheit zu geben, sich selbst darstellen zu dürfen. Ebenso ist die Frage zu klären ob ich die Appelle meiner Mitarbeiter höre und annehme, also darauf sinnvoll reagieren kann oder nicht. Die Fähigkeit, hier optimal zu agieren und zu reagieren macht den ersten Teil der sozialen Performance aus.

2. Mitarbeiter unterliegen wie jeder andere Mensch verschiedenen Stimmungen oder gar Tönungen. Diese sind zumeist unbewusst. Der sozial kompetente Chef ist in der Lage, diese unbewussten Stimmungen zu erkennen und er kann darüber hinaus auch darauf eingehen, sich darauf einstellen.

3. Wer führt, tut dies nach seinen eigenen Ansichten. Seine Wertvorstellungen und seine persönlichen Interessen fließen in den Führungsprozess mit ein. Hier ist die soziale Performance auszumachen an der Fähigkeit, diese persönlichen Werturteile, die handlungsleitenden Interessen, das Werturteilsgefüge, die Interessen, die eigenen Ansichten auch anderen verständlich zu machen.

4. Der sozial kompetente Chef ist in der Lage, seine eigenen Konflikte zu lösen. Das bedeutet, er kennt seine Neigungen, die ihn daran hindern, jederzeit und immer so zu handeln, dass er auch in der Nachbetrachtung mit seiner Handlungsweise einverstanden ist. Daraus folgt die Fähigkeit, Konflikte mit seinen Mitarbeitern konstruktiv zu lösen. Dazu ist es notwendig, herauszufinden, ob Mitarbeiter Widerstände gegen Personen oder Sachen aufgebaut haben. Der sozial kompetente Chef ist in der Lage, eine sachliche Kritik auch sachlich zu klären und empfindet nicht jeden sachlichen Widerspruch als persönlichen Angriff. Die Konfliktlösungsstrategien sind daran orientiert, eine für beide Seiten optimale Lösung für ein Problem zu finden. Der sozial kompetente Chef ist nicht daran interessiert, anderen weh zu tun, lauter oder schneller im Konfliktfall als andere zu reden oder die Szene eskalieren zu lassen.
Hier kann der sozial kompetente Chef Widerstände seiner Mitarbeiter genau lokalisieren und diagnostizieren. Der Chef kann sich sinnvoll darauf einstellen. Das heißt, er baut die Widerstände ab ohne sie zu brechen oder brechen zu wollen.

5. Der sozial kompetente Chef hat soziale Fähigkeiten, die es ihm leicht machen, auf andere Menschen zuzugehen und partnerschaftlich orientiert mit diesen umzugehen. Das bedeutet, er beherrscht die Koordinationsinteraktion auch in subordinativen Hierarchiesituationen.

Die Fähigkeit, anderen Menschen geduldig, genau und analytisch zuzuhören und auf das Gehörte einzugehen, gehört ebenfalls zur sozialen Performance. Dass der Chef hier den Mitarbeiter ausreden lässt, ihn nicht unterbricht, ist ebenfalls notwendig. Gleichzeitig versucht der Chef nicht zu signalisieren, dass er schon im Vorhinein zu wissen glaubt, was der Mitarbeiter sagen will.

6. Der Umgang mit Emotionen sagt ebenfalls etwas über die soziale Performance aus.
Der sozial kompetente Chef kann die verschiedenen Emotionen (Gefühle = kurzfristig andauernd, Stimmungen = länger andauernd, Tönungen = über ein ganzes Leben verteilt) auseinander halten und zureichend bestimmen.

Der sozial Kompetente ist in der Lage mit diesen Emotionen sinnvoll umzugehen. Alexythymie (Stummheit der Seele) ist ihm fremd.
Gleichzeitig ist der sozial Kompetente in der Lage, seine Gefühle zu haben und nicht von Ihnen gehabt zu werden.

Er ist also in der Lage, willentlich ein bestimmtes Gefühl in sich zu erzeugen (nicht spielen!). Die Fähigkeit, seine Gefühle kontrollieren zu können (nicht unterdrücken oder verdrängen!) ist ebenso ausgereift, wie die Fähigkeit, sich nur kontrolliert von anderen Emotionen anstecken zu lassen.

7. Der sozial Kompetente ist sehr wohl auch fähig, anderen Menschen Vertrauen zu schenken. Diese Fähigkeit schließt ein, anderen Menschen auch das Gefühl von Vertrauen zu vermitteln, ohne Vertrauen beteuern zu müssen.

8. Ein sozial kompetenter Chef lässt sich durch Kritik oder Misserfolg nicht aus der Bahn werfen. Der menschliche Wert hängt für ihn nicht von Leistung, Erfolg ab. Misserfolg und Kritik sind somit keine Faktoren, um den menschlichen Wert zu bemessen. Daraus folgt, dass Kritik oder Misserfolg den sozial kompetenten Chef nicht kränken oder gar verletzen können.

9. Eine besondere Fähigkeit des sozial Kompetenten ist es ebenfalls, anderen Menschen verzeihen zu können oder andere Menschen um Verzeihung bitten zu können unabhängig von Hierarchie oder Status. Das schließt ein, dass ein Chef seinen Mitarbeiter um Verzeihung bitten kann. Das schließt auch ein, nicht emotional zu werden, wenn das Verzeihen durch den Mitarbeiter verweigert wird.

Technisch lässt sich soziale Performance nicht sicherstellen. Allenfalls kann Vorhandenes vertieft und verstärkt werden. Aber wo keine soziale Performance vorhanden ist, kann sie nicht künstlich erzeugt werden. Da wird auch Industrie 4.0 nichts daran ändern