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Die „Helden des Alltags“, die sich selbst nicht so fühlen

Warum MitarbeiterInnen im Einzelhandel die Aufmerksamkeit ihrer Chefs mehr brauchen als mediale Aufmerksamkeit.
Andreas Hermann | 25.05.2021
Business Beat Handelsbarometer © Andreas Hermann
 

In den Medien wurden MitarbeiterInnen im Einzelhandel zu Beginn der Corona-Pandemie gerne als Helden des Alltags dargestellt. Unser Handelsbarometer, für das wir im Februar 2021 mehr als 200 Angestellte im stationären Einzelhandel und Lebensmitteleinzelhandel befragten, zeigte, dass sich die Mehrheit der TeilnehmerInnen ganz und gar nicht als Held oder Heldin fühlt. Sie machen schlichtweg ihren Job, der vielen Befragten auch Spaß macht. Dennoch werfen Job-Ungewissheit, Spannungen im Kundenkontakt und nicht konsequent umgesetzte Schutzmaßnahmen Schatten auf die Mitarbeiterzufriedenheit. Handelsunternehmen tun gut daran, mit den passenden Werkzeugen in ihre Belegschaft „hineinzuhören“.

Spaß am Job bei gleichzeitig großer Verunsicherung

Zu Beginn möchte ich einen sehr positiven Aspekt erwähnen: Knapp die Hälfte der MitarbeiterInnen gaben in unserem Handelsbarometer an, dass der Job auch in dieser außergewöhnlichen Situation Spaß macht. Der Zusammenhalt und die Zusammenarbeit im Team funktionieren bei unseren Befragten weitgehend sehr gut. Immerhin 48 Prozent sind dieser Meinung. Mehr als ein Drittel hat sogar in der Pandemie ausreichend die Möglichkeit bekommen, sich im Unternehmen weiterzuentwickeln. Knapp die Hälfte der Befragten gaben an, dass ihr Arbeitgeber klare Zukunftsperspektiven gibt.
 
Der stationäre Handel punktet nach wie vor mit der sofortigen Verfügbarkeit und das zeigt auch, dass bei mehr als der Hälfte der Befragten der Verkaufserfolg trotz der Schutzmaßnahmen und der widrigen Umstände gelingt. 71 Prozent gaben an, dass die Corona-Pandemie keine oder kaum negative Auswirkungen auf die Kundenbindung hat.

Obwohl knapp die Hälfte der Befragten befürchtet, dass Umsätze in den Online-Handel abwandern, ist sich ein Drittel der Befragten sicher, dass die Umsätze nach der Krise wieder in den stationären Handel zurückgeholt werden können.

Und dennoch machen sich 49 Prozent der Befragten Sorgen um ihren Job.

Verkäufer, kein „Maskenpolizist“

In unserem Handelsbarometer berichten 64 Prozent der Befragten über Konflikte mit KundInnen, die sich nicht an die Maskenpflicht oder die Hygienemaßnahmen halten. Viele Mitarbeiter fühlen sich in der Rolle der „Maskenpolizei“ unwohl.

Muss nun der Mitarbeiter einen Maskenverweigerer aus dem Geschäft verweisen, handelt er gleichzeitig gegen das Interesse des Unternehmens: Womöglich hat er mit seiner Reaktion einen Kunden für immer vergrault. Welche Entscheidung ist hier die Richtige? Steht meine Chefin und das Management hinter meiner Entscheidung?

MitarbeiterInnen dürfen sich hier nicht nur auf ihr Gefühl verlassen. Sie brauchen klare Richtlinien, ein Commitment des Managements. Einige Unternehmen haben diese Situation erkannt und unterstützen ihre Mitarbeiter mit genauen Regeln. Mehr als die Hälfte unserer Befragten im Handelsbarometer hat vom Arbeitgeber klare Vorgaben erhalten, wie man mit Kunden umgehen soll, die sich nicht an die Schutzmaßnahmen halten. Andere Unternehmen lassen ihre MitarbeiterInnen buchstäblich im Regen stehen. Das sorgt für Frust und Unzufriedenheit.

Covid-Testungen nicht auf Mitarbeiter abwälzen

Ein absolutes „Must have“ im stationären Handel, wo MitarbeiterInnen täglich viele Kontakte haben, ist eine klare Teststrategie mit genügend Testmöglichkeiten am Arbeitsplatz. Rund ein Drittel der Befragten in unserem Handelsbarometer wünschen sich mehr Covid-Testungen. 63 Prozent gaben an, dass Sie ihr Arbeitgeber gar nicht testen lässt.

Die Verantwortung darf hier keinesfalls auf den Mitarbeiter abgeschoben werden. Häufig stehen Testmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe nicht jeden Tag zur Verfügung oder die Öffnungszeiten der naheliegenden Testzentren kollidieren mit den Öffnungszeiten des Unternehmens. Insgesamt ist der Zeitaufwand, in ein externes Testzentrum zu gehen ungleich höher als sich am Arbeitsplatz zu testen. Das stellt MitarbeiterInnen vor zusätzliche zeitliche und emotionale Belastungen.

Wie geht es Ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen wirklich?

Die MitarbeiterInnen an der Kasse, am Regal oder der Fleischtheke haben klare Eindrücke wie der Hase in ihrem Laden läuft. Die Pandemiesituation bringt viele zusätzliche Stressmomente. Gleichzeitig ist für einige der Befragten die Situation ungewiss. Das bringt Frust und Sorge. Die Verantwortlichen im Management müssen diese Befindlichkeiten kennen. Eine Führungskraft, die um Sorgen und Ängste ihrer Angestellten weiß, kann diese Unsicherheit leichter abwenden.

Allerdings erhält das Management in den meisten Fällen eine bereits mehrfach gefilterte Rückmeldung der aktuellen Lage in ihrem Unternehmen, denn jede Ebene möchte sich vor der nächsthöheren möglichst gut und vor allem der Situation gewachsen präsentieren. Essenziell ist eine permanente, ungefilterte Rückkoppelung durch alle Unternehmensebenen, beispielsweise durch regelmäßige, online-basierte und anonyme Mitarbeiterbefragungen. Wem es erlaubt ist, sich auch mal nach oben Luft zu machen, hat ein Ventil, um Druck und Unzufriedenheit abzubauen. Führungskräfte erhalten einen ungeschönten Live-Einblick in die Stimmung ihrer Belegschaft. Das kann schmerzhaft sein, kann am Ende aber wertvoller sein als die x-te Marketingkampagne.

Auch wenn der Handel viel Geld für Werbung ausgibt, die wahren Markenbotschafter bleiben die MitarbeiterInnen. Dem Management sollte daran gelegen sein, die Stimmungen und Befindlichkeiten in der Belegschaft ungefiltert zu kennen.